Studie. Daten räumen mit dem Mythos vom armen Mieter und reichen Vermieter auf. Weder ist die Mietbelastung stark gestiegen, noch werden die behaupteten großen Einkommensunterschiede zwischen Mietern und Eigentümern bestätigt.
VON MADLEN STOTTMEYER
Wien. Die Mietpreisbremse ist das Zankthema der Regierungsparteien. Bleiben ÖVP und Grüne tatenlos, steht mit 1. April eine Anhebung der an die Inflation gekoppelten Richtwertmieten um 8,6 Prozent an. Die nächste Sitzung im Finanzausschuss findet am 23. März statt: die finale Deadline. Um etwas Zeit zu schinden, wurde schon ein Alibi-Antrag in den Finanzausschuss zur Abänderung eines Rechtschreibfehlers eingebracht, um diesen im letzten Moment mit einer Einigung zur Mietpreisbremse abändern zu können.
In der öffentlichen Debatte herrscht das Narrativ des armen Mieters u nd des reichen Vermieters vor. Letzterer könne reale Mietverluste leichter schultern als Mieter die Preissteigerungen. Diese Sicht scheint jedoch mehr einer Ideologie als der Empirie zu folgen. Das zeigt eine Auswertung der Statistik-Austria-Daten durch die Freie Universität Berlin. Weder ist die durchschnittliche Mietbelastung stark gestiegen, noch werden die behaupteten großen Einkommensunterschiede zwischen Mietern und den übrigen Haushalten ersichtlich.
Gutverdiener im Gemeindebau
Die monatlichen nominalen Bruttomieten – also Mieten inklusive der Betriebskosten – sind im Zeitraum zwischen 2012 und 2021 im Durchschnitt über alle Haushalte um knapp 30 Prozent gestiegen, von etwa 470 auf 600 Euro. Die auf den Verbraucherpreisindex bezogenen realen Bruttomieten – um die es jetzt bei der Anpassung der Altbaumieten geht – sind um nur zehn Prozent gestiegen.
Rechnet man Ausreißer heraus, nimmt man also den Medianwert, sind die Bruttomieten um 25 Prozent gestiegen, von knapp 440 auf 550 Euro. Das bedeutet, dass die Hälfte der höheren Mieten stärker gestiegen ist als die billigere Hälfte.
Mit steigendem Einkommen nimmt die Mietbelastung logischerweise ab. Die obersten zehn Prozent geben nur zehn Prozent ihres Einkommens für Miete aus, die untersten über 40 Prozent. Im Schnitt entrichteten die Haushalte bis 2018 fünf Prozent mehr ihres Nettohaushaltseinkommens für die Wohnung. Bis 2020 hat die Mietbelastung, also der Anteil der Miete am Haushaltseinkommen, aber wieder nachgelassen und ist auf Ausgangsniveau gesunken und erst später leicht gestiegen. Der Medianwert hingegen ist bis 2021 um gut fünf Prozent gestiegen.
In größeren Städten wie Graz und Linz, Salzburg und Innsbruck ist die Mietbelastung höher, mit einer Ausnahme: Wien. Dort liegt sie unter dem Bundesdurchschnitt. Das betrifft vor allem die mittlere Einkommensschicht. Viktor Steiner, Ökonom an der FU Berlin, verweist hierbei auf die „große Bedeutung des Gemeindebaus“, auf den in Wien knapp ein Drittel des Mietmarkts entfällt. Der Anteil der Mieter im Gemeindebau ist mit gut 40 Prozent am höchsten. „Bemerkenswert ist aber, dass beim Medianeinkommen noch jeder dritte und auch im obersten Einkommensbereich noch ein relativ großer Anteil aller Mieter im Gemeindebau wohnt“, sagt Steiner zur „Presse“. Denn wer einmal dort eingezogen ist oder in den Mietvertrag eines nahen Angehörigen eingetreten ist, hält einen lebenslangen Persilschein für eine staatlich geförderte günstige Miete in Händen. Im Gemeindebau liegt die durchschnittliche Mietbelastung laut der Studie in jeder Einkommensgruppe deutlich unter der auf dem privaten Wohnungsmarkt.
Insgesamt sind von hoher Mietbelastung vor allem Bezieher der Grundsicherung wie Notstandshilfe, Ausgleichszulage oder Sozialhilfe betroffen. Am höchsten ist die Mietbelastung bei den Sozialhilfeempfängern. Sie geben die Hälfte ihres Einkommens für das Wohnen aus. Bei den Beziehern von Notstandshilfe ist die Belastung nur knapp halb so hoch. Die Sozialhilfe und die Ausgleichszulage müssten laut Steiner zügig an die Mietpreissteigerungen angepasst werden. Auch die Grundsicherung und die Wohnbeihilfe sollten besser integriert werden. „Wo Gemeinden in größerem Umfang Vermieter sind, wie insbesondere im Wiener Gemeindebau, könnten Mietpreisanpassungen auch nach dem Haushaltseinkommen differenziert werden.“ Die Stadt Wien stellte inzwischen ein Wohnpaket vor, das bis zu 650.000 Wiener Haushalte mit einem Wohnbonus von 200 Euro versorgen soll.
Eingriff „unangebracht“ Keineswegs sind es nur reiche Haushalte, die Mieteinnahmen erzielen. Der Vergleich der Verteilung der Einkommen von Mietern und den übrigen Haushalten zeigt, dass Mieter im Durchschnitt zwar über ein deutlich geringeres Einkommen verfügen, das Medianeinkommen von Mieterhaushalten aber höher ist als die Einkommen eines großen Teils der Haushalte, die keine Mieter sind. „Ein Eingriff in den überwiegend privaten Wohnungsmarkt zur Beschränkung von Mietpreissteigerungen erscheint im Lichte dieser Ergebnisse nicht nur aus ökonomischer, sondern auch aus verteilungspolitischer Sicht unangebracht“, sagt Ökonom Steiner. Dennoch fühlen sich viele von der drohenden Anpassung überrumpelt. Steiner verweist darauf, dass die Anpassung in den Verträgen vorgesehen ist und damit keine Überraschung. Zudem hätte die Regierung mit zahlreichen Maßnahmen abgefedert. „Dass sich die Lohnforderungen an der Inflation orientieren, ist nachvollziehbar. Es ist jedoch seltsam, warum dann die Preissteigerungen, mit denen die Lohnforderungen begründet werden, nicht akzeptierbar sein sollten.“

Copyright © 2023 Die Presse 18.03.2023